Prosa

 
Säe Bohnen!
Mensch, wenn Du etwas Vollkommenes schaffen willst, lege eine Bohne
in einen Blumentopf, so etwa einen Zentimeter tief in die Erde. Setze den
Topf dann an die Sonne, begieße die Erde mit Wasser und warte auf das
Wunder. Du wirst sehen, das Wunder wird nicht ausbleiben, nicht wie
schon so oft, als Du es sehnsüchtig erwartet hast. Das Wunder kommt,
die vollkommene Schöpfung hebt den Boden über der Bohne hoch, als
wäre sie ein Vulkan, der die Erdkruste zu einem riesigen Berg auftürmt.
Bald erscheint ein kleiner grüner Hügel, die Bohne. Dann teilt sie sich in
zwei gleiche Teile, und Du fragst Dich: „Warum, wer befiehlt es ihr?"
Dann lugen links und rechts zwei winzige Blättchen hervor, geschmeidig,
als erwachten sie gerade aus dem Schlaf. Sie erheben sich, sie strecken
sich, sie bestaunen sehnsüchtig die Sonne und zeigen ihre Adern, ein
tausendfach verzweigtes Netz. Hättest Du dies all in dieser kleinen
leblosen Bohne vermutet?
Herrgott, Herrgott, wie Du, so habe ich auch etwas geschaffen! Ich habe
Leben auf dieser Erde gestiftet, Leben aus einem kalten, schwarzen Häuflein
Erde. Der Herrgott lächelt verständnisvoll und gutmütig: Mensch schaffe nur,
fühl Dich wie Gott. Noch ein paar Lenze - und dann wirst Du die Erde sein,
aus der die Wunder erwachsen werden.
Doch der dumpfe Mensch sieht und fühlt nicht das Lächeln Gottes, vom
Glücksgefühl berauscht starrt er sein Werk an. Du Mensch, Du bist die
unvollkommenste Schöpfung Gottes, wenn Du wüßtest, daß sogar eine
Schnecke vollkommener ist als Du, würdest Du erröten. Warum? Weil
die Bohne keine Giraffe sein will, die Schnecke kein Löwe. Die eine ist
vollkommene Bohne und die andere vollkommene Schnecke. Aber Du,
Mensch, Du willst Gott sein, und so kannst Du nie vollkommen werden.
Aber warte, wenn Dich die Erde einst aufgenommen hat, wirst auch Du
lautlos und bescheiden am Bohnenwunder Deiner Urenkel teilhaben.
Aber sehen wir zu: die zarten Bohnenstengel, sie haben noch die beiden
Bohnenhälften, ihre eigenen Wiegen, anhaften, aber sie werden kräftiger
und strecken sich stolz in die Höhe; sie entfalten Blätter wie Segel - erst
klein wie ein Groschen, dann größer. Sie tragen ihre Vollkommenheit zur
Schau.
Mensch, Künstler, Du kannst nichts Vollkommeneres als dies zu Deiner
Unsterblichkeit beitragen. Meine Augen streifen über das Wunder, sie
können sich gar nicht sattsehen. Meine Lippen berühren es, glücklich,
verliebt, ungläubig und ich träume, ich sei Gott.
Judit Hagner
Übersetzung: Dr. Czinki László

Seitendesign: Denise Paturaud